Manfred Laible im Münster – von Hartmut Danneck
Manfred Laible frönt der Leidenschaft des Flanierens, also des weitgehend ziellosen Umherschlenderns, des Promenierens oder gar, für Freunde älterer Sprache, des Lustwandelns. Diese Mußestunden kann er ohne Probleme mit einer zweiten Leidenschaft verbinden: der des Trauerredners. Vor Ort hat der Nicht-Villinger aber noch einige Probleme mit dem alemannischen Duktus seiner Umwelt.
Im Münster sitzt man gut. Nicht so laut wie im Riet-Café. Und billiger. Bloß: Die Maria am Hochaltar guckt mich immer so durchdringend an. Mit Recht. Schon jahrelang nicht mehr beim Beichte gwese. Man könnt meine, sie weiß es.
Manche glaube des. Die haben sich entschieden, glauben zu wollen. Glaube ist Wille. Ganz radikal. Ich glaub einfach nicht so ganz, dass ich wollen könnte. Aber ich will auch nicht den Glauben nicht wollen. Das wär mir auch wieder zu fanatisch. Ich denk lieber, dass die Maria mich nicht so genau sieht. Nur so halb. Des reicht ihr. Dann weiß sie genug. Dann kann ich nur noch hoffe, dass sie ein großes Herz hat. Maria, Königin der Herzen. Das hat man nicht einfach so erfunde. Oha, heut guckt sie aber streng. Vielleicht guckt sie aber auch des alte Mütterle an, des da drüben kniet. Dann hätt ich Glück ghabt.
Der Herrgott isch auch so ein Problem. Er isch so groß, dass er es vielleicht nicht mal nötig hat zu existieren. Im Gegeteil, wenn er existiert, schrumpft er ja nur. Des wär zu einfach. Einfach nur so vor sich hinexistiere, des kann ja jeder. Gott kann vielleicht mehr. Er existiert mal, und dann wieder nicht. Oder gleichzeitig: Er existiert und existiert nicht. Ja, stimmt, des isch die Lösung.
Wenn dich da einer im Münster sieht, hasch du immer gute Karte. Entweder er hält doch für fromm. 11 Uhr vormittags, Laible sitzt im Münster, einwandfrei, ein guter Christ. Ganz seltenes Exemplar. Oder er hält dich für en Kunstkenner. Das kannsch leicht noch deutlicher zeige. Kannsch ja im Zweifel an so e Tafelbild nahstande und die Pinselstrich aschaue. Musischer Mensch. Oder er meint, du seisch en ganz coole Hipster im Retro-Modus. „Urban Worshipping“ oder so was, voll abgespacet (grinst).
So, jetzt aber in die Nägelinskapelle. Vorsicht, Kopf nicht aschlage. Jetzt geht da ein Licht an, irgendwo hond se eine Lichtschranke einbaut, wahrscheinds Versicherung und so. Aber des isch Sabotage. Die ganze Stimmung isch futsch. Da drin isch es unheimlich, und so will man des. Wie eine Grotte. E paar Lichtle flackere do. und oben hängt des Kreuz. Schauerlich, noch unheimlicher als sonst. Schmerzensmann. Des Blut läuft runter. Aus seinem Kopf strahlts, loderts richtig. Da frierts mich. Des isch wie beim Zahnarzt, wenn er de Nerv trifft. Hier natürlich geistig. Das brauch ich. Gelegentlich. Selten.
So, jetz wieder raus aus der Kapelle. Da liegt eigentlich des Buch. Da könnet sonsch die Leut ihre Bitte und ihren Dank eintrage. Jetzt wegen Corona isch des weg. Bei Corona funktioniert des Buch wohl nicht. Ab Inzidenz von 50 – keine Chance für des Buch.
War immer sehr bewegend: „Bitte hilf ihnen, dass sie sich nicht trennen müssen“, „Danke, dass du Opa bei der Operation beschützt hast“. So in der Art. Was der liebe Gott alles richte muss. Er ist gefordert als Psychiater, Arzt, Lehrer, Polizist, Richter, Kindermädle, Eventmanager, Bappe, Mamme und was sonst noch alles. Er braucht heutzutag sowieso e dickes Fell. Da kannsch du ihm nur Kraft und viel Erfolg wünsche.
Seine Amtsträger auf Erden verlässt manchmal die Kraft. Da haben zwei Bischöf die Amtskreuze abglegt, damit sie in der Moschee beim Dialog kein Anstoß erregen. Was dadezu der Luther oder de Abraham a Sancta Clara gesagt hätte? „Ein Karren voller Narren“, so heißt e Predigt vom Abraham. Barocke Kraft, derb, dramatisch. Ich les so was gern, für en Trauerredner immer anregend.
Werner Leuthner meint
Der Tauerredner Laible, der Flaneur, eine sympathische Gestalt!
Er hat womöglich eine Pension im Hintergrund – damit lässt sich’s leben.
Und so hat er Zeit zum Beobachten und zum Sinnieren.
(Manche würden Philosophieren sagen, aber das klingt so abstrakt.
Also lieber bodenständig „sinnieren“)
Ob uns der Herr Laible auch mal zu einer Trauerfeier mitnimmt?
Ob er uns in seine Karten schauen läßt?
Wie kriegt er immmer die Mischung aus Routine und Empathie hin?
Gestorben wird immer und überall – jetzt in Coronazeiten vermehrt.
Doch die Angehörigen wollen ja eine ganz individuelle Ansprache.
Plus Anteilnahme. Plus Zuversicht für die Hinterbliebenen.
Dafür haben sie ja den Laible bezahlt.
Der Manfred Laible wird’s schon richten. Gelassen wie er ist!